Neuer Boden unter den Füßen 6.9.2014

Nach einer wirklich kurzen Nacht, in der sich keiner von uns wirklich von den Reisestrapazen erholen konnte, mussten wir früh ins Zentrum von Nairobi, um Geld zu wechseln. Die Wechselstuben in Nairobi hatten Sonntag normalerweise nur bis um 12 geöffnet.

Die meisten von uns verschliefen. Doch dies schien, wie sich später herausstellte, nicht so gravierend auszuwirken, denn uns kam eine von vielen Charaktereigenschaft zugute, die man manchen afrikanischen Völker nachsagt – das Zeitmanagement.

Um als europäische Gruppe nicht mehr Aufmerksamkeit als nötig auf uns zu lenken, beschlossen wir, dass nur ein paar von uns zu den Wechselstuben gingen.
Mit forschem Schritt führte Herr Nebe, der sich in Nairobi bestens auskennt, die Gruppe an. Schon auf den ersten hundert Metern merkten wir, wie das ein oder andere Augenpaar unsere Gruppe aufmerksam beobachtete und verfolgte. Für manche Einheimische schien unsere Gruppe die Attraktion des Tages zu sein. Die Frauen aus der Gruppe, voran die mit blondem Haar, konnten sich über den ein oder anderen anerkennenden Pfiff freuen.

Wir hatten jedoch weder Zeit noch die Aufmerksamkeit uns damit länger zu beschäftigen, denn Herr Nebe schien trotz vorangeschrittenem Alter plötzlich die Eigenschaften eines kenianischen Läufers entwickelt zu haben. Das bedeutete für uns, dass wir ihn nicht aus den Augen verlieren durften. Das war leichter gesagt als getan, denn eine Flut von Reizen mussten gleichzeitig verarbeitet werden, das ungewohnte Stadtbild, die Menschen die uns beobachteten aber vor allem der Verkehr.

In Deutschland wird der Verkehr durch die StVO geregelt. In Kenia gibt es für das Regeln des Verkehrs andere Mechanismen – die Autohupe und nette, auf ihre besondere Art rechtsschaffende Polizeibeamte, um die wichtigsten zu nennen. Schnell mussten wir lernen, dass eine grüne Ampel für Fußgänger, nicht mit dem Recht des Fußgängers gleichzusetzen ist, die Straße zu überqueren.

Ohne Verletzungen, aber mit einer ungewohnten eingeatmeten Überdosis von Staub und diversen Abgasen erreichten wir schließlich die erste Wechselstube. Die Zinssetzung der EZB war auch in Kenia bemerkbar. So war der Euro vor der Zinssetzung knapp 116 kenianische Schillinge (KS) wert, nach Zinssenkung jedoch nur noch 113 KS, was bei der Summe von Euros die manche von uns tauschten, schon einen nicht unerheblichen Wertverlust ausmachte.

Da der Wechselkurs in den verschieden Wechselstuben variiert, beschloss Herr Nebe sich weitere Wechselstube anzuschauen um die Wechselkurse zu vergleichen. Dies tat er mit seiner, mir persönlich bis dato, noch nicht bekannten Eigenschaft. Dieser Eigenschaft fiel ich nach der zweiten kurz besuchten Wechselstube zum Opfer. Eine kurze Unaufmerksamkeit, und siehe da – Herr Nebe und mit ihm auch die restliche Gruppe war nicht mehr in Sichtweite. Ich dachte mir jedoch, so schwer wird es schon nicht sein sie wieder zu finden, denn auffälliger konnte eine deutsche Gruppe nicht sein. Schnell stellte sich dieser Glaube als Irrglaube heraus.

Alleine irrte ich in Nairobi und suchte die Gruppe. Ich machte mir nichts vor, die Wahrscheinlichkeit  in einer fremden mir unbekannten Hauptstadt die Gruppe wieder zu finden, war trotz ihrer Auffälligkeiten, gen 0%. Trotzdem entschied ich mich weiter zu suchen.  Sollte ich sie nicht finden, konnte ich schließlich immer noch zurück zum YMCA. Ich entschließ mich im Kreis zu gehen, denn trotz des schnellen Tempos konnte die Gruppe nicht weit sein. Als ich nach einer Stunde die Suche aufgeben wollte, hörte ich jemanden meinen Namen rufen. Es war Kim die mich unter den ganzen Menschen erblickt hatte. Glücklich über diesen Zufall tauschte ich wie alle andere auch, mein Geld in der Wechselstube um.

Wir verließen die Wechselstube, die sich über regen Kundenlauf freute, gegen 13 Uhr. Verbittert stellte ich fest, da wäre mindestens eine Stunde mehr schlaf drin gewesen.
Die meisten von uns beschlich das Gefühl, dass es nicht das letzte mal war, dass wir Bekanntschaft mit dem kenianischem Zeitmanagement gemacht haben.

Der Tag verlief bisher relativ schleppend. Wie üblich ist zu aller Anfang der ganze organisatorische Hintergrund zu klären, zu viele Europäer in der Umtauschbude jedoch auch unerwünscht. Während die Hälfte der Gruppe in der Stadt Geld umtauschen war, hatte ich die Zeit im Hostel verbacht und mich noch ein wenig von der Anreise und dem wenigen Schlaf erholt. Am Nachmittag waren wir nun mit drei Kenianerinnen Branda, Helen und Lucy verabredet, die beim vergangenen Projekt im Frühjahr teilgenommen hatten. Unsere nächste Aufgabe war nun Simkarten zu besorgen. Diesmal machten wir uns als riesige Gruppe von nun 17 Personen auf den Weg.

Diese Erledigung war nun auch gleichzeitig mein erster Stadtbesuch. Jede Menge Eindrücke prasselten nur so auf mich ein. Während mir der Staub und die Abgase der Straße in die Nase steigen,  stehen wir an der ersten Ampel und beobachten die roten und grünen Sekundentafeln, die extra anzeigen, wie lange die Phasen noch dauern. Menschen mit tiefen, tiefen Sorgenfalten im Gesicht starren unsere Gruppe nur so an, kleine Kinder laufen die Hand aufhaltend an unserer Seite daher, während wir selbst unser Ziel gar nicht so genau vor Augen zu haben scheinen.

Dann, schließlich ein Kiosk, der uns Simkarten verkaufen kann. Branda, Lucy und Helen verhandeln auf Kisuaheli über die Bedingungen. Schon wieder sind Formulare notwendig, die ähnlich viele Informationen abfragen wie das Visum. Wieso denn das? Fragen wir uns. Die Antwort darauf erfahren wir später: Aufgrund von Anschlägen in der Vergangenheit wird genau festgehalten, wer in Kenia Simkarten besitzt und wer welche freigeschaltet bekommen darf. Nach einer halben Stunde haben wir ein leicht mulmiges Gefühl, weil wir uns beobachtet fühlen, können aber endlich zur letzten gemeinsamen Station weiterziehen, dem Einkaufszentrum Nakumatt Lifestyle.

Wie bei jedem Supermarkt, der westliche Verhältnisse aufweist, gibt es Security, die den Eingang bewacht. Frauen stellen sich rechts an, Männer links. Wir werden nach Waffen gescannt. In mir machte sich ein seltsames Gefühl der Unsicherheit breit. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden seit den Anschlägen auf das Einkaufscenter im September 2013 erhöht. Im Einkaufscenter besorgen wir uns jetzt jedenfalls noch Handyguthaben und ziehen danach für eine Stunde in Gruppen weiter. Zusammen mit Lars, Andreas, Nicole und der Kenianerin Lucy möchte ich lieber noch mehr von der Stadt sehen, als im Center zu bleiben. Lucy möchte uns ein wenig herumführen.

Sie führt uns zu einem Kunst- und Schmuckmarkt, den wir voller Neugierde betreten. Sofort fallen wir den ersten Verkäufern auf, die uns auffordern zu ihren Ständen herauf zu kommen. Wir scheinen die Einzigen in der Halle zu sein. Bei jedem Schritt, den wir vorwärts laufen, werden mehr Verkäufer auf uns aufmerksam, die ihre Kostbarkeiten an uns heran tragen und anpreisen. Schnell fühlen wir uns überfordert, weil die Gänge recht schmal sind und wir gar keine Gelegenheit haben irgendetwas in Ruhe anzuschauen. Kurze Zeit später stolpern wir zum Hinterausgang heraus.

Dort schlägt uns ein Gestank von Fisch und Fleisch entgegen, der in Europa als äußerst ungesund eingestuft worden wäre. Andreas und Lars möchten sich die Halle aus Neugier trotzdem anschauen. Nicole und Ich definitiv nicht. Ich wollte absolut keine Schlachtung aus Versehen beobachten und umklappen. Das ist nicht so meins. Wir trennen uns also kurz und treffen uns am anderen Eingang der Halle wieder, um uns auf den Rückweg zu machen. Auf dem Weg vor der Moschee entdeckt Lucy auf bunten Tüchern sitzend, eine Verkäuferin am Wegesrand, die wohl typische Süßigkeiten in knalligen Farben verkaufte. Wir entscheiden uns für pink und violett und teilen in der Gruppe. Man lutscht quasi die bunte Masse ab und stößt dann auf einen festen Kern. Diesen muss man auf jeden Fall ausspucken. Der Geschmack erinnerte mich an künstliche Himbeere. Während wir uns über den Geschmack der violettfarbenen Süßigkeit Gedanken machten, hatten uns unsere Füße schon längst zurück in das YMCA Hostel getragen.

Von Léandre Sangwa & Marilena Häring

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